CHRISTMAS IS COMING
Die Vorweihnachtszeit – bekanntlich die schönste Zeit des Jahres. Wir versinken im Stress, bekommen meist eine Erkältung und wünschen uns auf eine einsame Insel.
Aber auch wenn es gerade nicht danach klingt. Ich mag die Vorweihnachtszeit. Es wird zwar früher dunkel, man hat meist kalte Füsse, das Wetter ist entweder zu warm oder zu kalt oder zu nass oder alles auf einmal. Und dennoch ist das irgendwie egal.
Denn bald ist Weihnachten.
Und es gibt Weihnachtsmärkte, Glühweinstände und überall duftet es nach Vanille und Zimt. Die Stände verkaufen völlig überteuerte fettige Speisen, die meisten Budenbesitzer sind genervt und unfreundlich. Menschen rempeln einen an, schubsen weg, drängeln vor. Zu später Stunde muss man aufpassen wo man hintritt denn überall in den Ecken klebt Glühweinkotze gespickt von Wurstbröckchen und Sauerkraut und ein paar gebrannten Mandeln.
Oh du fröhliche Weihnachtszeit.
Nach einem anstrengenden Tag im Büro hetzen völlig genervte Menschen kurz vor Ladenschluss schnell durch die Geschäfte um noch irgendwo irgendetwas zu finden, was halbwegs als Weihnachtsgeschenk für die Lieben zuhause durchgehen kann. Gerne enden Geschenke dieser Art als “Einstäubchen” im Regal oder “Stehrümchen” im Schrank. Aber das ist geschenkt. Hauptsache man hat was.
Zwischen all den gestressten Menschen flanieren Touristen entspannt durch die Innenstadt. Bleiben an jeder Ecke gerne unvermittelt stehen um Selfies zu knipsen. Während die Einheimischen völlig entnervt drumherumjonglieren.
Das Gewusel der Stadt gleicht einem kollektiven Zuckerschock.
Ich stehe meist mittendrin, halte einen Becher Glühwein in der Hand, beobachte das Treiben, helfe Touristen beim Selfieknipsen, lächle die gestressten IchmussnochsovielerledigenundhabekeineZeit-Menschen freundlich an und ernte dafür gerne mal den einen oder anderen irritierten oder sogar bösen Blick. Ich bestelle mir dann einfach noch einen Glühwein. Damit ignoriert sich schlechtes Karma fremdgesteuerter Menschen leichter.
Im Geiste singe ich Falalalalalalalala und denke mir meist… Nichts. Ich klinke mich einfach geistig aus. Ignoriere die unfreundlichen Budenbesitzer und kaufe da, wo ich jemanden finde, der wenigstens versucht nett zu sein.
Die überteuerten Angebote lasse ich links liegen nachdem ich von allem probiert und das meiste für gehtso befunden habe. Ich kann schliesslich erst dann über etwas meckern, wenn ich weiss, wovon ich rede. Also probiere ich immer brav von allem. Das ärgern über überteuerte Produkte in gegenteiliger Qualität habe ich mir abgewöhnt. Schliesslich weiss ich aus Erfahrung, dass man auf Märkten aller Art kaum Gutes zu akzeptablen Preisen findet.
Zuhause dekoriere ich mittlerweile schon ab Ende November. Einfach weil ich es so mag. Schliesslich habe ich bereits Ende August die ersten Lebkuchen im Supermarkt gekauft.
Und ich sehe es sowieso schon lange nicht mehr ein, wieso ich mich an all die Vorgaben halten soll, die die Gesellschaft für einen vorgesehen zu haben scheint.
Wir machen alles etwas anders.
Nicht ganz freiwillig. Wenn man schon so viele Jahre ohne Familie feiern muss wie ich, weil meine Eltern schlicht einfach schon lange nicht mehr da sind, muss man eben zwangsläufig andere Wege finden, um die Weihnachtszeit unbeschadet zu überstehen. Und diese Zeit dennoch geniessen zu können. Alleine schon um nicht jedesmal zu Weihnachten in endlose, einen fast auffressende Traurigkeit zu verfallen. So wie es mir meist ergeht.
Weihnachten ohne Familie kann emotional ganz schön herausfordernd sein.
Manche würden es sich wünschen. Weihnachten ohne Familie. Ich nicht. Das ist manchmal nämlich echt schwierig. Man fühlt sich tatsächlich ganz schön isoliert. In einer Blase. Die Werbung umspült einen quasi rund um die Uhr mit glücklichen Familienmomenten am hübsch gedeckten Tisch. In der Schokoladenwerbung kommen lang nicht gesehene Familienmitglieder endlich wieder nach Hause. Alles ist wunderschön geschmückt. Jeder ist glücklich.
Alle um einen herum planen Dinge, die irgendwas mit Familie und Verwandtschaft zu tun haben. Wir nicht.
Wir backen Vanillekipferl seit Ende November, essen alle auf und backen neue. Wir dekorieren zu früh, kaufen keine Geschenke, schmücken unseren Baum mit Disneyfiguren, bestellen indisches Essen, hören elektronische Tanzmusik in laut und spüren die Liebe. Wir zünden auch bei Sonnenschein Kerzen an, trinken eine Flasche Prosecco auch an einem Dienstag, laufen manchmal den ganzen Tag im Schlafanzug rum und brauchen uns keine Gedanken über Einladungen zu den Feiertagen machen.
Vieles fehlt zu Weihnachten ohne Familie, aber genauso ist vieles anders schön und irgendwie auch gut.
Und ein bisschen Traurigkeit gehört immer zu dieser Jahreszeit. Vor allem die Vorweihnachtszeit ist manchmal schwer.
Aber dann geht man wieder auf den Weihnachtsmarkt, bestellt sich einen Glühwein, knipst hübsche Socialmediakompatible Fotos von lächelnden Touristen für lächelnde Touristen, bestellt sich bei der ziemlich unfreundlichen Bardame noch einen Glühwein und versucht, den Tag ohne angerempelt zu werden und ohne Senffleck zu überstehen. Lächelt die unfreundlichen Menschen weiterhin an auch wenn man weiss, dass das vergebliche Liebesmüh ist. Und abends bestellt man sich was beim Nepalesen um die Ecke und isst noch ein paar Vanillekipferl.
Zündet ein paar Kerzen an und findet sein weihnachtlich geschmücktes Zuhause traumschön.
Denkt an nichts und singt im Geiste ganz leise ein wenig “Falalalalala”, wenn die Traurigkeit doch kommt….
PUDERZUCKER KASCHIERT FAST ALLES
Auch die Traurigkeit. Denn – Weihnachtszeit ist Familienzeit. Nicht lustig wenn man keine mehr hat.
Okay. Zugegeben. Dieser Text ist tatsächlich nur für Menschen wie mich. Menschen ohne Eltern. Nicht, weil ich schon so alt wäre und meine Eltern deswegen einfach mittlerweile verstorben wären, sondern weil ich das Schicksalspech hatte, dass meine Eltern bereits vor mehr als 25 Jahren verstorben sind. Ich feiere also Weihnachten länger ohne Familienanschluss als mit. Ich erinnere mich dennoch an Weihnachten zuhause bei meinen Eltern. Und ich muss sagen – es war genauso wie man es aus Filmen kennt. Damals superanstrengend. Heute würde ich alles dafür geben, es noch einmal erleben zu dürfen. Mit all seinen Unwegbarkeiten. Hach was war das damals doch schön.
Einen Weihnachtswunsch hätte ich schon.
Mein grösster Wunsch: Noch einmal das Weihnachtschaos mit all dem Stress und der Streiterei mit meinem Eltern zuhause erleben zu dürfen. Trotz Nervenzusammenbruch. Streit. Stress. Chaos. Das wär schon toll.
Alles negative würde ich ausblenden. Das Chaos wäre mir tatsächlich ziemlich egal.
Auch wenn ich wüsste dass wir uns alle am Ende noch eine weitere Flasche von Omas Eierlikör wünschen und uns wahrscheinlich aus Verzweiflung die Marzipankugel geben würden.
Weihnachten. Ein Vollkatastrophenfest, das nur mit einem gewissen Promillepegel überstanden werden kann.
Dieses Fest der Rituale.
Das Fest des Müssens.
Regeln so weit das Auge reicht.
Unser Weihnachtsfest war typisch deutsch.
Der Baum wurde ein bis zwei Tage vor Heilig Abend gekauft, selbstverständlich war das Papas Aufgabe, er musste dann allerdings noch mindestens einen Tag, besser zwei, draussen in der Garage oder auf der Terrasse stehen, damit er sich akklimatisieren kann. Um nicht so schnell zu nadeln. Also der Baum, nicht Papa.
Dass der Baum sein ganzes Leben bereits draussen war und auch beim Christbaumhändler nicht abends mit in die Wohnung durfte wurde dabei aus seltsamen Gründen ausgeblendet.
Der Christbaum muss einen Tag draussen stehen bevor er ins Wohnzimmer darf. Punkt. Das macht man eben so.
Geschmückt wurde unser Baum dann auf gar keinen Fall vor dem 24ten Dezember.
Mama durfte alleine schmücken weil es Papa zu fummelig war. Dafür war er auch zu ungeduldig. Aber wehe die Kugeln von Oma wurden vom Rest der Familie auch nur angefasst. Das war ungeschriebenes Gesetz. Diese Kugeln durfte nur Papa aufhängen. Und sie hatten ihren ganz festen Platz. Immer. Egal wie der Baum aussah und auch egal ob er überhaupt dazu geeignet war. Der Platz für die besonderen Kugeln war immer oben. Direkt im Kreis unterhalb der Christbaumspitze. Amen. Und hing das Geklimper nicht an seinem angestammten Platz so wie jedes Jahr dann war das nix. Wir wussten das. So war das. Und das wurde auch nie hinterfragt.
Papa stellte dafür den Baum auf. Dafür war Mama nicht begabt genug.
Mama fand den Baum allerdings schief. Wie jedes Jahr.
Papa guckte schlau, ging einmal um den Baum herum und befand ihn für ganz wunderbar so wie er da stand.
Mama guckte skeptisch.
Papa befestigte den Baum nochmal mit ein paar Schrauben extra im Christbaumständer. Und mit ein paar Holzkeilen. So war das jedes Jahr. Dann goss er den Baum. Der brauchte erstmal Wasser.
Dann grunzte er zufrieden und machte sich auf die Suche nach dem Christbaumschmuck in seiner Werkstatt. Besondere Dinge hatten ihren besonderen Platz.
Papa kam zurück mit ganz viel Lametta. Wie jedes Jahr. Und Mama rollte mit den Augen. Wie jedes Jahr.
Die Lichterkette war ein Job für Fachpersonal. Also Papa. Fein säuberlich wurde sie im letzten Jahr eingepackt, fein säuberlich wurde sie wieder ausgepackt. Kabelsalat Fehlanzeige. Das gab es nur bei den anderen, nicht bei Papa.
Nachdem die Lichterkette ordnungsgemäss auf nicht vorhandene Schwachstellen untersucht worden war wurde sie akribisch genau fixiert. Das konnte dann schon mal dauern. Und dauern. Und dauern. Zumal Papa auch erst noch etwaige Schwachstellen im Baum ausbessern musste. Das machte er immer so. Er nahm dazu seinen Bohrer und bohrte Löcher in den Stamm, um Zweige hineinzustecken. Ganz nach dem Motto “Was nicht passt wird passend gemacht”.
Mama machte währenddessen schon mal die erste Flasche Prosecco auf. Es würde nicht die letzte bleiben für diesen Tag.
Papa war noch lange nicht fertig. Die Flasche Prosecco bereits halb leer.
Während Mama leicht angezwitschert den Baum schmückte und die Omakugeln ganz oben etwas umdekorierte und allerlei Gedöns drumrumdrapierte, allerdings hinten versteckt damit es später keinen unnötigen Diskussionsbedarf gab, ging Papa in die Küche und machte schon mal den Kartoffelsalat.
An heilig Abend wird russisch Ei gegessen. Da gibt es keine Widerrede. Das gibt es jedes Jahr. Das muss so.
Russisch Ei ist eine kleine Abwandlung von Würstchen mit Kartoffelsalat.
Im Prinzip ist es auch Kartoffelsalat, nur dekoriert mit gekochtem Schinken und gekochten Eiern. Dazu gibt es Würstchen.
Man isst allerdings keine Würstchen mit Kartoffelsalat sondern russisch Ei um sich vom Pöbel abzuheben. Würde man heute so vielleicht nicht mehr machen. Und auch so nicht mehr dazu sagen. Früher war das aber so. Darum lass ich das jetzt auch in meiner Erzählung. Weils einfach dazugehört.
Dazu passt übrigens eigentlich kein Eierlikör. Ist aber allen egal.
Die Bescherung darf auf gar keinen Fall vor 18 Uhr stattfinden. Das war immer so.
Gekocht wir selbstverständlich selbst. Man geht Weihnachten nicht essen.
Auch wenn das bedeutet, dass man den ganzen Tag in der Küche stehen wird.
Eingeladen werden nur die engsten Verwandten. Alle sind mässig begeistert.
Die Tante ist immer beleidigt. Und hat schlechte Laune. An Kritikfähigkeit mangelt es ihr nicht. Zum Leidwesen aller Anwesenden. Und sie kommentiert gerne. Alles. Ungefragt. Aber sie gehört nun einmal zur Familie. Ihre Geschenke sind jedoch immer teuer und immer hübsch. Also meckert keiner.
Auf dem Tisch steht natürlich ein Keksteller. Immer auf einer Serviette. Mindestens drei Sorten mussten gebacken werden. Die mit der Marmelade. Vanillekipferl. Natürlich. Und Makronen. Kokos oder Mandel. Egal. Hauptsache mit Rum. Darunter ist es kein Weihnachten sondern Alltag.
Die Kekse sind meist etwas verbrannt. Weil man nebenbei tausend Dinge gemacht und den Timer nicht gehört hat. Die Kokosmakronen krümeln.
Aber der Puderzucker kaschiert alles.
Obwohl wir alle mit den Nerven am Ende waren war Weihnachten doch immer etwas ganz Besonderes. Papas Essen schmeckte ganz wunderbar. Der Baum sah zauberhaft aus. Und es fühlte sich an wie es sich anfühlten sollte. Nach Liebe, Umarmung, Zuckerguss und Zusammenhalt.
Und jedes Jahr an Weihnachten vermisse ich genau dieses Gefühl. Leider ist es nicht reproduzierbar. Und auch mit nichts zu ersetzen. Ich habs probiert. Es klappt nicht.
Weihnachten wird für mich immer eine ganz besondere Challenge bleiben. Egal wie sehr ich mich auch bemühe. Das Gefühl von Einsamkeit und Verlassensein wird für immer bleiben. Sich im Stich gelassen zu fühlen ist nicht schön. Da hilft leider auch kein Eierlikör.