ANALOG WAR GESTERN.
Neulich im Hofbräuhaus.
Wir sitzen bei dunklem Radler und Weisswurst mit Breze im Schatten und geniessen den Tag, das Leben und die Dinge um uns herum.
Unser Kellner ist nett. Das Wetter schön. Es läuft.
Wir beobachten ein wenig nach links und nach rechts. Gucken um uns herum. Und stellen fest, dass die ganze Welt um uns herum sitzt und wir gerade irgendwie mit dem ganzen Globus vernetzt sind.
Wir sind umgeben von asiatischen Touristen, die scheinbar im FullHD – Panoramamodus streamen und posten was das Zeug hält. Schräg hinter uns sitzen US-Amerikaner, die mit den Zuhausegebliebenen Videochatten. Vor uns sitzt ein Pärchen aus Russland das seinen Instagramaccount im Minutentakt füttert.
Unser analoges Weisswurstessen geht offensichtlich online.
Alltäglich Banales wird zum Event.
Bierkrüge werden arrangiert, halb volle Teller mit knubbeligem Krustenbraten, einsam an einen blassen Kartoffelknödel gelehnt und mit einem kläglichen Klecks wässriger Sosse garniert, vom Koch in Zeitdruck schnell und lieblos hingeworfen, werden mit mitgebrachten Accessoires wie Gänseblümchen gewissenhaft dekoriert und somit fototauglich etwas aufgehübscht. Da werden Selfies mit Bierkrug, dämlicher Touristenshopmütze auf dem Kopf und Daumen hoch geknipst, bis der Handyakku stöhnt.
Filter werden ausgesucht. Die Machmichschön-App tut was sie kann. Sie macht schöne Dinge schöner, glückliche Gesichter bunter, müde Menschen faltenfrei und blasse Knödel sonnig.
Fast alle Mitglieder einer chinesischen Reisegruppe, die zwei Tische weiter sitzt, haben Festplatten an ihr Handy gesteckt – oder umgekehrt. Im Rucksack wartet ein Reserveakku auf seinen Einsatz. Man sieht es an den Kabeln, die aus diversen chinesischen Rucksäcken hervorgucken. Kabel ziehen sich auch quer über den Tisch.
Wir trinken einen grossen Schluck von unserem analogen Radler und sind damit allerhöchstwahrscheinlich unbemerkt schon eine Sekunde später irgendwo auf der Welt in einer Cloud für die Ewigkeit festzementiert. Gespeichert.
Ob wir wohl jemals davon erfahren? Wir sind skeptisch. Erwarten jedoch bei einer künftigen Einreise in das Land der aufgehenden Sonne pikante Fragen nach einem erfolgreichen Gesichtsscan an der Flughafenkontrollstation.
Man ist überall unfreiwillig online.
Neben uns nimmt eine Familie Platz.
Mama, Papa, grosse Schwester, kleiner Bruder. Das klassische Konstrukt. Papa sieht beruflich sehr erfolgreich aus, Mama geht in ihrer Mamarolle eindeutig voll auf. Sie trägt alles in schick, die Fingernägel glänzen, die Wangen rosig, die Lippen dezent geschminkt. Die Frisur sitzt perfekt.
Der Nachwuchs formvollendet. Er mit ordentlichem Seitenscheitel im blonden Schopf, Chinos, Poloshirt, lässige Sneaker. Dabei ist er gerade mal geschätzt zehn Jahre alt, wenn überhaupt. Er ist sich seiner Wirkung jedoch bereits eindeutig bewusst. Sein Name wird Philip sein. So sieht ein Philip aus.
Die Tochter ist bestimmt noch keine 15, sieht aber sehr danach aus, heisst bestimmt Julia oder Vanessa. Hat bereits ein eigenes Instagramprofil mit einigen hundert Followern, alles natürlich nur enge Freunde. Irgendwann studiert sie wahrscheinlich etwas mit Marketing und heiratet später einen Mann, der Maximilian heisst und mindestens aus gutem Hause kommt.
Ich seufze. Und überlege, ob ich neidisch oder gelangweilt sein will.
Beliebigkeit erbarmungslos durchgestylt.
Irgendwie hat man das alles schon so oft gesehen, dass man es fast schon beliebig findet. Alles ist so durchgestylt und genormt, dass man es eigentlich fast schon nicht mehr sehen kann.
Die Welt scheint zu einer einzigen DIN-Norm geworden zu sein.
Die Familie hat sich kaum hingesetzt, da haben auch schon alle ihr Handy gezückt. Mama checkt ihr Whatsapp, Papa googelt herum, der Sohn spielt irgendwas in bunt mit ganz viel schnell und dingelingtütü und die Tochter ist auf Instagram.
Wir können alles mitverfolgen, denn jedes Familienmitglied hat seine Lautstärke auf Anschlag.
Eine sich anbahnende Unterhaltung können wir jedoch nicht erkennen.
Der Kellner kommt. Die Familie bleibt beschäftigt, abgelenkt vom Online.
Papa bestellt, denn Papa macht das immer so und weiss genau, was alle mögen. So sieht es für uns aus, so wird es auch sein.
Mama trinkt sowieso immer ihr Alsterwasser, das norddeutsche Pendant zum bayerischen Radler, der Kellner versteht auch ohne Erklärung und schreibt eifrig mit. Papa traut sich an eine Mass, man ist schliesslich im Urlaub. Sohnemann bekommt eine Saftschorle und Vanessa trinkt nur Cola light. Wegen der Kalorien. Für Instagram muss man instagramable bleiben. Gegessen werden Brezn, Obazda und strammer Max. Für alle. Der Kellner geht. Vanessa Julia will Apfelstrudel mit Vanillesosse. Trotz Instagram. Denn das sieht auf Fotos gut aus. Und schliesslich ist sie im Urlaub. Und den sie natürlich bekommt. Papa beordert den Kellner höflich zurück an den Tisch.
Unser Kellner bemüht sich redlich. Er ist wirklich nett. Fragt noch einmal nach. Lächelt tapfer.
Wir schmunzeln etwas. Denn bisher hat keiner der vier auch nur ansatzweise sein Handy beiseite gelegt und etwas gesagt. Selbst als der Kellner schon mal die Getränke bringt guckt keiner hoch. Geschweige denn den Kellner an. Vanessa-Julia lacht kurz auf und zeigt ihrer Mama irgendetwas. Mama zeigt etwas zurück. Es klingt nach laut und nervig. Und scheint lustig zu sein. Das war’s dann aber auch schon. Kommunikation beendet.
Interaktion wird überbewertet.
Mehr muss anscheinend gerade nicht sein.
Der Apfelstrudel kommt. Er scheint für eine Neuauflage eines Kochbuches das Model zu sein. Gegessen wird er jedenfalls lange nicht. Dafür aus allen erdenklichen Perspektiven bis fast zur eigenen Selbstzersetzung fotografiert. Warmer Apfelstrudel scheint überbewertet.
Der Kellner guckt betreten. Wir sind fasziniert. Beobachten ungewollt das neue Social-Media-Leben. Und bestellen Bier und Brezen nach.
Hier zu sitzen ist spannend.
Wir sehen wie es im Kellner arbeitet. Dann scheint er eine Eingebung zu haben.
Er holt etwas aus einem Schrank und geht damit strahlend zu unserem Nachbartisch.
Dort präsentiert er stolz seine Idee. Er legt den beiden Sprösslingen etwas vor die Nase. Beide gucken von ihrem Handy hoch und entgeistert auf das, was da nun vor ihnen auf dem Tisch liegt.
Die Eltern gucken auch.
Wir grinsen den Kellner an und sind gespannt. Er zwinkert uns zu.
Beide Kinder gucken ernsthaft irritiert.
Ich kann mich nicht zurückhalten und muss einfach etwas sagen.
Und spiele den analogen Erklärbär. “Das ist eine analoge Grafikapp. Ihr könnt mit den beigelegten Farbsticks die schwarz-weissen Felder bunt einfärben. Ihr müsst sie nur aus der Packung nehmen. Es gibt verschiedene Sticks in verschiedenen Farben. Die App müsst ihr dazu einfach aufklappen. Da seht ihr dann die einzufärbenden Bilder. Weiterscrollen könnt ihr, indem ihr die Seiten umblättert.”
Vor den Kindern liegt ein Malbuch. Das sie so anscheinend noch nie gesehen haben.
Der Vater fängt an zu lachen, die Mutter prustet los und die Kinder gucken bedröppelt und verstehen die Welt nicht mehr.
Wir Grossen lachen uns alle kaputt. Den Kindern erschliesst sich die Situation nicht so ganz und die Erklärung noch viel weniger, aber die Eltern legen daraufhin ihre Handys beiseite und nehmen sie während ihres Aufenthalts im Biergarten auch nicht mehr in die Hand. Die Kinder entscheiden sich den plumpen Vorstoss des Kellners lieber zu ignorieren und bleiben konzentriert online.
Und gucken mich kurz ein bisschen böse an.
Die Vollversion Homo Digitalis scheint installiert.
Und bestens etabliert.
Sieht ganz danach aus, als wäre die Zeit des Malbuches endgültig vorbei. Schade irgendwie. Wieder eine schöne Kindheitserinnerung, die nur noch Erinnerung bleibt.
Wir bestellen noch ein Bier. Und bleiben noch ein wenig sitzen.
Und wieder was dazugelernt!
Analog ist wohl eindeutig von gestern.